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Wir fahren eine Landstrasse entlang

-English translation below-

Wir fahren eine Landstrasse entlang. In den Büschen weiden Kühe, neben einem zusammengeschweissten Ninokreuz. Autos rauschen vorbei, auf der gegenüberliegenden Strassenseite preschen zwei Pferde mit erhobenem Schweif über eine Brache und verschwinden hinter einer riesigen, halb zerfallenen Halle. Wir folgen den Pferden und erkunden die Industrieruine durch deren herausgefallene Fensterfront sich die leuchtend weissen Ausläufer des Kaukasus abzeichnen.

Vielleicht war hier mal eine Giesserei. Die Standorte alter Öfen sind immer noch sichtbar. Daneben, ein altes Schulhaus. Eine herausgebrochene Tür gibt den Blick auf eine Wandmalerei mit bestellten Feldern und grünen Wäldern frei.  In der Halle liegt allerhand Zeugs und Schutt herum: Fetzen von Kleider, Schrauben und Bolzen, Backsteine und quadratische Glasblöcke. Ich nehme einen dieser Glasblöcke in die Hände und stelle ihn auf eine Mauer. Erin findet einen alten Turnschuh, da liegt ein Stück Schlauch, ein Lampenvisier aus dickem Glas, Backsteine. Wir stellen sie herum und spielen im Abendlicht mit den Schatten an den Wänden, imitieren die Pflanzen, welche die Mauern durchwachsen, als Schattenwurf.

Für uns, die wir in unserem Spiel versunken sind, stellt sich an diesem Ort eine eigene Zeit ein. Alles Vorwärtsstrebende zerbröselt in diesen Kulissen. Wir stellen unsere Funde auf die Mauer neben den Glasblock, ordnen sie ein wenig, achten aber auf nichts Spezielles. Wir werfen mit Backsteinbrocken nach den Gegenständen, wie die Kinder auf dem Bazar in Marneuli mit einer Steinschleuder nach den Spatzen schiessen. Die mürben Klumpen zerstäuben an der Wand, fegen die Fundstücke von der Mauer oder fallen in die Büsche dahinter. Der letzte Backstein trifft einen Glasblock und setzt sich um sich selbst drehend an dessen Stelle auf der Mauer. 

 

Burgruinen, verlassene Häuser, ungenutzte Ställe, leere Gartenhäuschen, Hochsitze, Aussichtsplattformen, Brückenköpfe, ausgeräumte Fabrikanlagen, Ferienhäuschen, alte Lagerhallen, verrostete Silos, Kolchosegebäude, Kirchenruinen. Am Anfang unserer Reise waren es noch eher die Ferienhäuschen und leeren Ställe oder eine Brücke, mit dem Überschreiten der alten Ostgrenze wurden es echte Ruinen. All diese Orte sind durch die Abwesenheit von Menschen gekennzeichnet. Niemand ist hier: Alle sind schon weg, haben diese Orte schon längst verlassen oder gar aufgegeben. Vielleicht kommen sie erst noch.  In ihrer Abwesenheit öffnet sich ein Zwischenraum, den wir gerne für eine kurze Zeit füllen. Manchmal ist es nur Unterschlupf vor dem Regen, manchmal betten wir unsere Schlafsäcke und Matten in den Sand einer Bauruine, manchmal unternehmen wir aus reiner Entdeckungslust einen Streifzug durch eine alte Industrieanlage. Fest steht, für uns als Reisende sind solche Orte mehr als nur romantische Projektionsflächen, sie sind Kulissen in denen wir selbst, ohne Konsumzwang und ohne die Rolle des Gastes einnehmen zu müssen, als Akteure auftreten können.

Im Rhythmus von Abfahrt und Ankunft zwischen zwei Orten öffnet sich die Zwischenzeit des Unterwegsseins. Wenn wir unterwegs sind und keine bestimmten Orte aufsuchen ist die Strasse unser Bewegungsraum. Wir singen Lieder die uns gerade einfallen, winken den Leuten am Strassenrand zu, zeigen gelegentlich auf etwas, beobachten Tiere ohne anzuhalten.  Es gibt kein Vorausprojizieren,  sondern nur eine Verkettung von unausweichlichen Ereignissen die uns, ohne unser Wissen darum, bereits erwarten. Wir bewegen uns in den Möglichkeiten die der Linienverlauf der Strasse uns bietet. Oft geht es darum die Gelegenheiten zu ergreifen mit den Materialien der Strasse etwas anzustellen.

Irgendwo zwischen Tblisi und Tetri Tsqaro findet Erin eine geplättete Mumie einer Kröte und nimmt sie in einer weggeworfenen Zigarettenschachtel mit. Später rasten wir am Strassenrand unter blühenden Mandelbäumen, und wie so oft gesellt sich ein Hund zu uns. Nach einem Apfel und einem Stück Brot, das wir mit dem Hund teilen, entschliessen wir uns kurzerhand an einer Zementmarkierung einen kleinen Krötenaltar zu errichten. Wir brechen ein paar Blütenzweige von den Bäumen und arrangieren sie mit einer herumliegenden Sardinenbüchse, in die wir die Kröte beten, an einer Strassenmarkierung.

 

Wenn nichts geschieht und wir einfach still hintereinander der Strasse entlang fahren, dann setzt sich der Rhythmus in dem sich unsere Beine bewegen in unseren Köpfen fort und dreht wie an einem Dynamo der eine imaginative Kraft erzeugt. Dann beginnen die langen inneren Monologe, wir setzen Briefe an unsere Freunde auf die wir nie niederschreiben können und wir ergeben uns den zyklisch wiederkehrenden Ereignissen und Situationen entlang der Strasse. Dabei fühlt es ich an als würde man Zeit gewinnen, wie man Land dem Meer durch Dämme abringt und es über Jahre entsalzt.

- DANIEL


 

WE RIDE DOWN A COUNTRY ROAD

We ride down a country road. Cows are grazing in the bushes next to a welded cross of Nino. Cars speed by and on the opposite side of the street two horses dash, tails raised, along the road before disappearing behind a massive, half-collapsed hall. We follow the horses and explore the industrial ruin. The white foothills of the Caucasus gleam through its empty window frames.

Perhaps there was once a foundry here. The bases of old ovens are still visible. Beside them, an old schoolhouse. A broken door reveals a mural with tilled fields and green forests. In the hall, all kinds of rubble and debris lay scattered: scraps of clothing, screws and bolts, bricks and blocks of glass. I pick up one of these glass blocks and place it on a wall. Erin finds an old sneaker, there’s a piece of a hose, a lampshade made of thick glass, bricks. We move them all around in the evening light, playing with the shades they cast on the walls, imitating the plants which grow through the ruin with our own shadows. For us, immersed in our game, a unique sense of time crops up in this place. Any sense of forward propulsion crumbles in this setting.

We place our findings next to the glass block on the wall and order them a little, without paying attention to anything in particular. We throw pieces of brick at the objects, like the children at the bazaar in Marneuli shoot at sparrows with slingshots. The brittle clumps of brick burst into dust upon impact with the wall, topple the objects from atop it or fall into the bushes behind. The last brick hits a glass block and lands, spinning in its place on the wall.

Castle ruins, abandoned houses, unused stables, empty garden houses, raised perches, observatory platforms, bridgeheads, empty factory compounds, holiday cottages, old storage halls, rusty silos, kolkhoz buildings, church ruins. At the beginning of our trip they were more likely holiday cottages and empty stalls, or bridges. With the crossing of the old east-west border they became genuine ruins. All these places are marked by the absence of people. No one is here, they've all left these places for good or completely given them up. Maybe they have yet to come. In their absence, a gap opens itself to us. One which we gladly fill for a short time. Sometimes it’s just shelter from the rain, sometimes we unroll our sleeping bags and mattresses in the sand of a building-site ruin, sometimes we ramble through old industrial complexes out of pure curiosity. For us as travellers it’s clear that such places are more than romantic projection surfaces; they are the stages upon which we, without the obligation to consume or play the guest, can act.

In the rhythm of departing from and arriving at two places, an in-between time of being underway kicks in. When we’re underway, and not looking for a particular place, the street is our field of movement. We sing songs as they occur to us, wave to people on the curb, point now and then at things and observe animals, without stopping. There’s no projecting in advance, rather a linking of unavoidable events which wait for us without our knowing.

We move in the possibilities that the continuous line of the road offers us. Often it’s a question of seizing opportunities, doing something with the material of the street.  Somewhere between Tbilisi and Tetri Tsqaro, Erin finds a flattened mummy of a toad and takes it with her in a discarded cigarette package. Later we rest on the side of the road under blooming almond trees and as so often, a stray dog joins us. After an apple and piece of bread, which we share with the dog, we decide to erect a little toad altar on a cement road marker. We break a pair of blossoming branches off of a tree and arrange them, with a sardine can from the curb, the toad nestled inside, on the road marker.

When nothing happens and we simply ride down the road in silence behind one another, the rhythm of our legs moving continues in our heads and turns as though on a generator producing a force of imagination. Then the long internal monologues begin: we draft letters to our friends which we’ll never be able to write down and we give ourselves to the cyclical, recurrent events and situations waiting for us along the road. Then it feels as though one could gain time, like earth wrested from the sea by dams and desalinated over the course of years. 

- DANIEL